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Endzeiten 2

»Die Magnete? Jep, sind noch original. Hatte ja nach der Wiederkunft Christi jeder am Kühlschrank hängen. Gut, die meisten haben sie recht schnell wieder entsorgt und so getan, als wären sie nie dabei gewesen. Erst hab ich sie hängen lassen, um mich dran zu erinnern, nicht auf jeden Hype reinzufallen. Inzwischen ist das mehr so ne ironische Sache. Sind ja nichts anderes wie diese ›Lebe. Liebe. Lache.‹-Dinger von früher. Erstaunlich, wie gut das auch auf Deutsch funktioniert, finden Sie nicht? Vielleicht war das der Fehler bei ›Realize. Repent. Rise.‹ – wobei, wahrscheinlich wär’s auch mit nem anderen Slogan nicht gut ausgegangen.«

Das Ende der verf***ten Welt 3

Die Hände beiderseits ihres larvengleich verpuppten Körpers auf der Bettdecke, lauschte sie zunehmend angespannt in die nächtliche Vorstadtstille, im Augenwinkel die schemenhaften Umrisse von Kenny Spencer, der sich Minuten zuvor beinahe vergeblich an ihr abgemüht hatte und jetzt am offenen Fenster stand, den Blick seinerseits ins Nichts gerichtet – das Nichts, das ihm die Welt angeblich immer bedeutet hatte oder das Nichts, in das sie nach seinen Berechnungen in wenigen Minuten fallen würde. Ihre Angst, dass das apokalyptische Ereignis ausbleiben könnte und sie ihre jahrzehntelang für die letzte Verzweiflungstat aufgesparte Jungfräulichkeit an einen Internetspinner verloren hätte, wurde mit jeder Minute greifbarer.

Atemholen 2

Daumen und Zeigefinger blättern durch unbeschriftete Bögen karierten Papiers.

»Vielleicht beginnen wir mit Ihrer Biografie. Oder was Sie hierhergeführt hat.«

»Ich glaube, ich wollte glücklich sein. Für mich ist Glück, bei den Fischen schlafen.«

Der Bleistift verharrt, als hätte ihn das Denken eingeholt. »Wofür steht das? Ist das eine Art suizidale Fantasie?«

»Es ist ein konkretes Gefühl. So etwas steht für sich selbst.«

Der Bleistift rührt sich nicht.

Seufzen. Unmöglich, die Morgendämmerung im See zu beschreiben. Die Schattenkessel von Seerosen und Laubflecken. Oder wie es ist, einem schlafenden Hecht in die offenen Augen zu sehen, bis man die Zeit vergisst.

Das Ende der verf***ten Welt 2

»Wohin gehen wir?«, frage ich schließlich. Das Gelände des Güterbahnhofs liegt hinter uns, leise ist noch die Ghettoblastermusik der Echsenpunks zu hören.

Du drehst dich zu mir um, lächelst. »Zum Rand.«

Die anderen Leute aus der Vorstadt vermeiden es, über den Rand zu sprechen. Sie sagen, er gehöre nicht in unsere Lebenswelt, sei so weit entfernt, dass er ebenso gut nicht existieren könne. Wenn die Durchreisenden erzählen, dass der Rand immer näher kommt, ebenso unmerklich wie unaufhaltsam, dass er alles verschlingt und nur ein Nichts hinterlässt, das alle Vorstellungskraft übersteigt, hält man sie für Wichtigtuer.

Du gehst voran, ich folge.

Sich ähnlich sehen

Der Wechsel von der gymnasialen Mittel- zur Oberstufe, der an den meisten seiner Mitschüler kaum als eine Zeit der Metamorphose auszumachen war, ging für ihn mit trüben, wie hinter milchigem Glas verbrachten Sommerferien einher und mit der traumatischen Erfahrung, dass er darüber sein Gesicht verlor. Freunde hatte er nicht, und so gab es in den neu zusammengesetzten Kursen niemanden, der ihn darauf angesprochen hätte. Nur manchmal bemerkte er einen Blick, mit dem man auf Vertrautes reagiert, das sich auf unerklärliche und erschreckende Weise unähnlich sieht. Sich ähnlich zu sehen, erforderte morgendliche Übungen vor dem Spiegel und eine ständige inwendige Konzentration.

Begabung

»Augstachels Quote war eh schon desaströs. Dann haben Kunden ihre Aufträge storniert, kurz nachdem er sie besucht hat. Oder Mails mit seltsamen Andeutungen geschrieben.«
»Verstehe.«
»Also beschloss Jürgens, Augstachel zu feuern.«
»Da kamst du ins Spiel. Und Augstachel?«
»Blieb stumm. Hat mir n Foto gezeigt. Frau, zwei Kinder.«
»Die Mitleidstour.«
»Dachte ich auch. Aber der Junge auf dem Foto … der hatte so nen Blick. Ich kann’s nicht beschreiben. Als wüsste er, dass ich ihn angucke. Hab richtig Panik bekommen. Und plötzlich merke ich es.«
»Dass du dir in die Hose machst.«
»Der Junge war das. Der hat mich dazu gezwungen.«

Rückeroberung

Nicht einmal dafür reichte es hier, dachte er, in dieser absolut öden und abstumpfenden Gegend, wo selbst das Unkraut nur halbherzig aus dem Boden krauchte, ohne jegliches Commitment für die Idee einer Rückeroberung menschlichen Lebensraums durch die Natur, da brauchte man sich bloß diesen bemitleidenswerten Löwenzahn anschauen, der einem die Unangebrachtheit einer Vokabel wie »Eroberung« vor Augen führte, wenn die Natur es nicht einmal schaffte, ein Feld zurückzuerobern, das man mehr oder weniger kampflos aufgegeben hatte, die letzten Überreste menschlicher Bewirtschaftung als Zeugen der Kapitulation, also nein, er kriegte einen richtigen Hals auf diese Gegend, die nicht einmal Postapokalypse hinbekam.

Endzeiten 1

»Beunruhigt? Nein, das würde ich nicht sagen. Man richtet sich halt ein. Und es gibt so viel, um das man sich Tag für Tag kümmern muss, da bleibt wenig Raum für Angst. Routinen schaffen Sicherheit, war schon immer so. Das hier? Papier und Schwarzpulver für die Knallfrösche – falls doch mal welche zu nah ans Haus kommen. Macht fast Spaß. Morgens prüfe ich zuerst das Kruzifix im Herrgottswinkel – je nach Wetterlage muss man’s manchmal neu ausrichten. Und seit ich den Rasensprenger an einen Bewegungsmelder angeschlossen habe, schaue ich täglich nach dem Pegel des Weihwassertanks. Routinen halt. Ich leb ganz gut damit.«

Atemholen

Wann ihm klargeworden war, dass er nicht mehr zu atmen brauchte? Er wusste es nicht. Zuerst gab es eigens gewählte Grenzen, eine Minute, zwei, drei, während er in seinem Zimmer saß, nach den Hausaufgaben, das Gesicht in einer mit Wasser gefüllten Glasschüssel, aus den Augenwinkeln den Quarzwecker im Blick, der durch die Lichtbrechung eine unwirkliche Zeitfolge anzuzeigen schien. Später beendete er das Spiel eher aus Langeweile oder aus Angst, entdeckt zu werden. In Phasen der Konzentration vergaß er manchmal zu atmen. Die Mitschüler und Lehrer mieden ihn, ohne zu wissen, weshalb jedes längere Gespräch mit dem Jungen so beklemmend war.

Das Ende der verf***ten Welt 1

Moe drehte durch und Maddie eine Zigarette, die um ein Haar der nächsten Spitzkehre zum Opfer fiel. Aus dem Radio bellte ein Prediger die göttliche Verdammnis, begann zu stottern, tauchte den Kopf ins Rauschen des Mittelwellenempfangs und schnappte nach Luft. Maddie atmete die Kippe weg. Der Kater in ihrem Schädel stimmte mit dem auf ihrem Beifahrersitz ein schrilles Duett an. Maddie fühlte sich gerädert, als wäre ihre Wirbelsäule die Verlängerung einer Kette, die über die Steine der Schotterpiste geschleift wurde. Mit einem Ruck brach der Auspuff. Im Rückspiegel sah Maddie, weit hinten am Horizont, zwei immense Wassersäulen zur Erde fallen.

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