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Das Ende der verf***ten Welt 5

Tiefe Stille begleitet unseren Weg durch die Häuserschluchten. Vor dem Opernhaus bleibst du stehen.

»Wir sind da«, sagst du und steigst durch eine der Fensteröffnungen.

Ich folge dem Schein deiner Taschenlampe durch das Foyer, über eine Treppe, einen Flur entlang, durch eine Tür, und dann stehen wir in einer Loge und dort, wo einmal die Bühne war, ist das Nichts.

Der Rand.

Ich lege die Arme auf die Brüstung, lehne mich nach vorn.

Unmöglich zu sagen, ob sich der Nachthimmel in diesem Nichts spiegelt oder ob es keine Grenze mehr zwischen beiden gibt.

Ich habe noch nie etwas Schöneres gesehen.

Traumfabrik

»Ich bin mir nicht sicher, ob ›elektrisiert‹ der korrekte Begriff ist. Zumindest dann nicht, wenn wir damit ausdrücken wollten, die Schlafenden in den Bädern stünden unter einer Art innerer Spannung. Wahrscheinlich ist die Vorstellung von Träumen als etwas, das in uns entsteht und, vor allem, in uns bleibt, zu tief im menschlichen Bewusstsein verwurzelt. Dass ein Traum gewissermaßen von außen kommt, sich auf uns ablagert, an uns sichtbar wird – das birgt für die meisten Menschen einen nicht unerheblichen Schrecken. Trotzdem, die Prozesse hier lassen sich am ehesten mit der Galvanik vergleichen. Und: steuerbare Prozesse sind zum größten Teil sichere Prozesse.«

Die Frau hinter dem Fliegengitter

Die Frau, die am Fenster ihres Schlafzimmers steht und auf die Biegung der Dorfstraße blickt, hat wenige Stunden zuvor den Daumen ihrer rechten Hand verloren. Es war kein schmerzhafter Verlust, und dort, wo sich der Daumen befand, zeugt keine Verletzung davon; sie hat es erst bemerkt, als sie das Schlafzimmerfenster auf Kipp stellen wollte, um das entfernte Glockenläuten der Dorfkirche hören zu können. Den Rest des Vormittags hat sie mit der erfolglosen Suche nach dem verlorenen Daumen verbracht, und jetzt wartet sie, wie immer um diese Zeit, auf die Rückkehr der Berufsschüler. Womöglich fühlt sie sich heute gebrechlicher als sonst.

Sprechende Gebäude

Wenn er in der ehemaligen Abfüllhalle saß, hinter der Absperrung aus mit halbtransparenter Folie verhängten Bauzaunelementen, und sein Pausenbrot aß, in der halben Stunde, bevor er die Türen öffnete und die ersten Kunden in die Halle ließ, lauschte er dem Innenleben des Gebäudes: dem Öffnen von Fenstern, dem Einrasten von Türriegeln, dem Rasseln von Ketten und sonstigen Lauten unsichtbarer Geschäftigkeit, die es gar nicht geben konnte, denn er besaß den einzigen Schlüssel und verbrachte die Pausen allein. Vielleicht, dachte er, trug die Halle den Klang der unterhalb oder oberhalb am Hang liegenden Gebäude weiter. Oder das Echo einer anderen Zeit.

Der Mann auf der Brücke

Der Mann im navy-blauen Anzug, der im Strom der S-Bahn-Pendler über die Brücke geht, trägt ein Amulett unter dem Hemd. Niemand aus seinem Kollegen- und Bekanntenkreis hat dieses Amulett je gesehen. Sie wissen nicht einmal um seine Existenz.

Das Amulett ist die letzte Arbeit einer weitgehend unbekannten italienischen Künstlerin. Die Eltern des Mannes kauften es zu seiner Geburt, und sobald er alt genug war, ermahnten sie ihn, er dürfe es niemals ablegen.

Für den Mann ist das Amulett eine existenzielle Last.

Mitten auf der Brücke bleibt er stehen, länger, als man von einem Mann in Anzug erwartet, und geht weiter.

Begegnung

»Und sein Sexualtrieb? Hast du darüber nachgedacht?«

»Bitte?!«

»Wenn es geschlechtsreif wird. Was dann?«

»Das ist das Erste, was dir einfällt, wenn dir ein mystisches Wesen begegnet? Wir wissen noch nicht mal, ob es einen du-weißt-schon hat oder irgendwas anderes.«

»Ich find das wichtig. Angenommen, du bringst dieses Ding nach Hause. Findest heraus, was es frisst, ob es kackt, ob es Nester baut; angenommen, du kannst es vor den Nachbarn und deiner Familie verstecken. Du ziehst es auf, gewöhnst es an dich, es kennt kein Lebewesen außer dir. Und plötzlich entstehen in ihm andere Bedürfnisse, ganz instinktiv.«

»… du spinnst doch.«

Das Ende der verf***ten Welt 4

Die Reifenspuren auf dem Forstweg zurückverfolgend in ein schütteres Kiefernwäldchen hinein, weiter bis zu der Stelle, an der ein umgestürzter Drahtkorb eine Galaxie glitzernder Polypropylen- und Zellglashaufen geboren hat, Twizzlers, Airheads, Nerds, Jolly Ranchers, und wo sich die blass leuchtende Ader eines Vanilleshakes zwischen Frauenfarn und Kriechender Jakobsleiter zu einem Ameisenbau zieht, dann entlang der neu entstandenen Ameisenstraße über den mit Kiefernnadeln bedeckten Mulm zum gestrandeten Leviathan des XL-Styroporbechers und weiter zu einem Trailer, wo Kenny Spencer im flackernden Licht seiner provisorischen Außenbeleuchtung sitzt, Kratzspuren am linken Unterarm und eine Platzwunde an der Schläfe, die Abschiedsgeschenke von Maddie und Moe.

Der Handschuh

Seit einer Woche trägt sie den Handschuh.

Ein Arbeitsunfall, eine Unaufmerksamkeit, die ungewohnte Belastung – als sie eines Abends nach Hause kommt, kann sie kaum die Finger bewegen.

Sie gewöhnt sich schnell daran. Die Impulse, die das Gewebe dehnen und zusammenziehen, erlauben filigranste Bewegungen.

Ihn dagegen stört der Handschuh. Schließlich fragt er, ob sie ihn nicht wenigstens zum Abendessen abnehmen könne. Sie brauche ihn doch nicht, um eine Gabel zu halten.

Davon verstehe er nichts.

Vielleicht bereut sie ihre schroffe Antwort. Sie fasst seine Hand. Die Berührung, obwohl zärtlich, beunruhigt ihn. Er will seine Hand zurückziehen, und es gelingt ihm nicht.

Der Mann auf dem Bahnsteig

Der Mann, der in unbequemer Haltung in einem der Schalensitze auf dem Bahnsteig sitzt, fragt sich, wie lange es noch zu spät sein wird. Damals, als es zu spät wurde, hat er es nicht mitbekommen. Er hat nicht geahnt, dass es zu spät sein könnte, war nicht vorbereitet, und jetzt ist zu viel Zeit vergangen, um sich ein anderes Leben vorzustellen. Auch dafür ist es zu spät. Würde der Mann auf einen Zug warten, säße er nicht in diesem Schalensitz. Er verachtet Menschen, die sich zum Warten hinsetzen. Nein, er wartet auf keinen Zug. Er hat nichts, worauf er wartet.

Das Ereignis 1

Das Licht der Straßenlaterne stand in einer noch unschlüssigen Morgendämmerung, als ihm die Bewegung auf dem gegenüberliegenden Hang auffiel. Ein formloser Schatten, der über das trübe Grau der Wiese zog.

Die Haustür fiel ins Schloss und seine Frau ging unter dem Küchenfenster vorbei.

Als er mit der zweiten Tasse Kaffee ans Fenster trat, hatte sich der Schatten in unzählige kleinere, scharf umrissene Formen aufgelöst. Er stutzte. Es waren die massigen Leiber von Rindern, die sich, flach auf den Boden gepresst, dem Wiesengraben näherten. Einige hatten ihn bereits erreicht und krochen langsam, aber stetig auf die ersten Häuser des Dorfes zu.

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